Heute umrunden wir den Schleinbacher Hauptplatz

Heute umrunden wir den Schleinbacher Hauptplatz. Wir treffen uns bei dem Haus mit dem Schild „Ums Eck“. Dieses Haus wurde vor kurzem verkauft. Ich sehe Arbeiter, die innen renovieren. Als ich vor zirka dreißig Jahren nach Schleinbach zog, war hier ein Nahversorger. Ich bin oft und gerne einkaufen gegangen, ich erinnere mich an die sehr gute Feinkostabteilung und an den Chef, der meist höchstpersönlich an der Kassa saß und über die aktuellen Sonderangebote informierte. Damals gab es allerdings noch nicht so viele Supermärkte in der näheren Umgebung, die Kundschaft war sicher leichter zu erreichen. Das Geschäft hatte in den letzten Jahren wechselnde Besitzer, die Kundschaft wurde immer weniger, bis zugesperrt werden musste. Jetzt gibt es das Gerücht, dass hier ein Café eröffnen soll. Das wäre eine gute Nachricht.

Ich überquere die Straße und stehe vor unserem Kaiser Franz Joseph. Obwohl seine Mundwinkel nach unten zeigen, lächelt er mich gütig an. Seine Brust ist voll gehängt mit Orden. Links und rechts der Büste steht je eine Linde. Die linke Linde schaut krank aus, ein Ast ist schon ganz dürr. Die rechte ist kleiner, aber gesund und kräftig. Vor ein paar Jahren wurde eine große Linde im Rücken des Kaisers gefällt. Sie war wohl auch krank. Jedenfalls wird darauf geachtet, dass der Kaiser immer seine Linde hat. Zu seinen Füßen blühen auch jetzt, im Herbst, stachelige Rosen. Im Vorbeigehen klopfe ich ihm auf die Schulter. Er ist hohl.

Hinter dem Kaiser stehen drei Bänke und ein Tisch. Öfter sehe ich hier Dorfbewohner sitzen, jetzt sitzt hier Clasien. Sie fotografiert den Schleinbach, der hier aus einem dicken Rohr kommt. Der Bach wurde am Hauptplatz überbaut. Dadurch wurden Parkplätze gewonnen. Wenn ich den Hauptplatz überblicke, ergibt sich das übliche Bild: ein menschenleerer Platz und geparkte Autos. Es gibt Überlegungen auf den Grünstreifen rund um die Autos ein oder zwei Bäume zu setzen. Das wäre schon ein guter Anfang. Allerdings gibt es die Forderung, dass das Durchfahren großer, landwirtschaftlicher Fahrzeuge nicht beeinträchtigt werden darf. Ich denke, es wäre Platz genug für alle da. Der Schleinbach führt heute nicht sehr viel Wasser. Ich überquere den Feldweg und stehe vor einer Bambuswand. Die Besitzer wollten wohl rasch Sichtschutz. Vorher hatte man freie Sicht auf ein Haus, das einmal eine Konditorei war. Damals hat man sich sicher nicht versteckt. Die nächsten Häuser haben alle hübsche Vorgärten und Autoabstellplätze. Ich frage mich, ob der Parkplatz auf dem Hauptplatz wirklich so notwendig ist.

Eines der Häuser ist rot gestrichen und hat eine hübsche, weiße Zierleiste. Vor dem Haus stehen schöne Büsche. Einer hat riesige Blätter, leider kenne ich den Namen nicht. Auch ein großer Oleander ist hier. Eine Hollywoodschaukel, mit Sicht, wie schon öfter erwähnt, auf Autos, lädt zum Verweilen ein.

Das nächste interessante Gebäude ist der Nordsalon auf Hausnummer 5. Dieser Salon wurde vor ein paar Monaten eröffnet, man kann hier Bücher kaufen, alte und neue, man kann Kaffee trinken, Kuchen essen und stöbern. Der Nordsalon hat jede zweite Woche geöffnet und ich wünsche ihm gute Geschäfte, es ist ein sehr angenehmer Ort und ich kehre dort gerne ein. Vor dem Haus stehen eine wunderschöne Blutbuche und zwei gemütliche Tische mit Sesseln.

Schräg gegenüber befinden sich die zwei riesigen Tore des Feuerwehrhauses, das ans ehemalige Gemeindeamt angebaut ist. Die Fassade des Gemeindeamtes ist gelb und weiß, die Fenster sind neu, das Eingangstor ist das alte. Die Oberlichte des Tores ist aus Glas und in dieses Glas ist „Erbaut 1913“ eingraviert. Das Gemeindeamt ist nach Ulrichskirchen übersiedelt, es gibt noch einen kleinen Raum und zwei mal wöchentlichen, Freitag Vormittag und Dienstag Nachmittag, Sprechstunden. Die Post wurde aufgelassen, die Gendarmerie wurde aufgelassen, die Ordination des Gemeindearztes ist auch nicht mehr hier untergebracht. Im oberen Stockwerk gibt es zwei Gemeindewohnungen.

An der Seitenwand sind Informationstafeln: Gemeindesitzungen werden angekündigt, vor Waldbränden wird gewarnt, Versteigerungen werden verlautbart und Hinweise, die durch die Pandemie helfen sollen sind angebracht. Ich erfahre, dass es kostenlose Rechtsberatung, kostenlose psychologische Beratung, und kostenlose Bauberatung in der Gemeinde gibt. Wohnungen werden auch angepriesen. In Bahnhofnähe entstehen neue Wohnblöcke. Alles lese ich nicht, ich biege zu den Mistkübeln ab: Altkleider, Buntglas, Weißglas. Den Ausflug zu den Mistkübeln mache ich öfter. Mein kleiner Enkel entsorgt mit großem Vergnügen unser Altglas.

Das Kriegerdenkmal steht mit dem Rücken zum ehemaligen Gemeindeamt. Die beiden Soldaten aus den Weltkriegen schauen Richtung Parkplatz. Die Figuren sind aus einem rötlichen Stein gemacht und halten eine Fahne, auf der steht: „Gott mit uns“. Die Liste der gefallenen Soldaten ist lang, viele bekannte Familiennamen des Dorfes sind hier angeführt.

Inzwischen werden Clasien und ich beobachtet. Ich spreche in mein Handy, Clasien fotografiert.

Einige junge Mütter spazieren vorbei. Sie kommen sicher aus dem Kindergarten, wahrscheinlich ist gerade Eingewöhnungsphase für die Kleinsten, nach den ersten aufregenden Stunden gehen sie wieder nach Hause. Ich winke Christine zu, sie ist eine Freundin meiner Töchter, ihr kleines Mädchen ist auch schon wieder groß, denke ich mir.

Ich stehe jetzt hinter unserem Musikpavillon. Das ist ein kleiner, offener Halbkreis, in dem Bänke an der Wand aufgestellt sind. Konzerte unserer Musikkapelle habe ich hier nur selten gehört. Zur Adventzeit wird eine Krippe hineingebaut und im Sommer sehe ich öfter Jugendliche hier sitzen. Wenn der Maibaum aufgestellt wird, spielt die Jugendkapelle und es gibt Würstl und Wein und Bier. So wie diese Rasenfläche mit Bäumen und Büschen könnte ein größerer Teil unseres Hauptplatzes ausschauen, denke ich. Mehr grün würde dem Ortszentrum sicher gutstehen.

Auf dem Rasenstück vor dem Pavillon stehen immer die Plakatständer, die Veranstaltungen ankündigen. Heuer ist da wenig, nur ein Aufmerksamkeitsspaziergang wird angeboten: „Wanderung zum einigen Ich“. Das zweite Plakat bittet um Vorsicht wegen der Schulkinder. Eine große Ankündigungstafel aus Holz zeigt hauptsächlich die Öffnungszeiten der umliegenden Heurigen. Eine Tafel mit den Wanderwegen rund um Schleinbach steht auch da. Eingezeichnet sind die Betriebe und Gasthäuser. Die Karte ist nicht ganz aktuell. Auch der Fahrplan bei der Busstation ist nicht auf dem letzten Stand. Aber die Leute, die hier ein- und aussteigen, kennen offensichtlich die Abfahrtszeiten der Busse.

Rechts vom Pavillon, über der Straße, ist eine Tierärztin mit ihrer Familie eingezogen. Ein Schild mit Pferd macht darauf aufmerksam. Früher wohnte hier ein Baumeister und davor eine alte Frau mit schneeweißem Haar. Sie stand den ganzen Tag am Fenster und beobachtete das Treiben auf dem Platz. Fußgänger waren da noch viel mehr unterwegs. Das ehemalige Gasthaus Schramm wird gerade umgebaut. Hier entstehen Wohnungen. Ich bin schon neugierig, wer hier einziehen wird. Die Fleischhauerei daneben ist leider auch schon lange geschlossen, Die Rollos beim Schaufenster sind seit Jahren heruntergelassen. Ich ließ mich damals vom Fleischhauer beim Fleischeinkauf sehr gerne beraten und habe dabei viel gelernt. Im Haus daneben war einige Zeit eine Ärztegemeinschaft eingemietet, jetzt gibt es hier immer wieder verschiedene Mieter.

Unsere Runde ist beendet, wir sind wieder am Eck angelangt. Wünsche an eine Gestaltung unseres Hauptplatzes hätte ich viele, aber vielleicht tut sich ja was in den nächsten Jahren.