Pralinen

Eigentlich wollten Clasien und ich Anfang Juni in den Wiener Prater fahren und mit dem Riesenrad eine Runde drehen. Das Riesenrad besteht seit 125 Jahren und da fanden wir, dass wir das auch feiern könnten, indem wir gemächlich durch die Lüfte schaukeln, fotografieren, reden und die Aussicht genießen.
Wir trafen uns am Bahnhof in Schleinbach. Das Wetter war unsicher. Würde es regnen, würde der Wind uns verblasen? Kurzer Hand entschlossen wir uns in die Gegenrichtung, nach Staatz, zu fahren. Dort gibt es die Schokoladenmanufaktur Zart mit einem kleinen, aber feinen Kaffeehaus. Das Riesenrad muss warten, beschlossen wir.

Die Schnellbahn bringt uns tief ins Weinviertel. In Mistelbach steigen wir um, die Wartezeit beträgt 10 Minuten. Dann, schon vom Zugfenster aus, sehen wir die Staatzer Klippe. Sie überragt mit ihrer Burgruine die umliegenden sanften Hügel.

Rundherum liegt der Ort mit ca. 2000 Einwohnern. Die Schnellbahnstation befindet sich  ungefähr zwei Kilometer außerhalb des Ortes, und der direkte Weg führt über die L24, die für einen Spaziergang nicht sehr einladend ist.

Wir weichen auf Feldwege aus. Auf einer Wiese liegen Weiderinder gemütlich herum. Die Sonne hat sich letztendlich gegen die Wolken durchgesetzt, es ist warm, und ich vermisse meinen Strohhut. Der Regenschirm hätte zu Hause bleiben können. Langsam kommen wir den Häusern näher. Clasien fotografiert, ein Heuwender schaut wie eine Skulptur aus: Kunst im öffentlichen Raum.

In Staatz führt unser Weg durch eine Siedlung von Einfamilienhäusern. Jedes Haus hat sich ein kleines, privates Reich mit Blumen und Bäumen geschaffen. Kurz vor unserem Ziel treffen wir auf einen Marillenbaum, der schwer beladen mit reifen Früchten ist, was für diese Jahreszeit ungewöhnlich früh ist.

Beide sind wir schon längere Zeit nicht mehr bei den „Zart-Pralinen“ gewesen – die Pandemie hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Es ist schön, dass wir alles ganz wir vorher antreffen: Der Gastgarten ist grün und leicht verwildert, das Gemüse im Hochbeet und die bequemen und sehr stilvollen Gartenmöbeln sind unverändert, und wir genießen Kaffee und Kuchen. Von der Chocolatier Marieke erfahren wir, dass sie die Produktion erweitern wollen, neue Räumlichkeiten werden angemietet, aber das Kaffeehaus bleibt wie es ist.

Nach unserem gemütlichen Aufenthalt fragen wir nach dem kürzesten Weg zum Bahnhof, fährt doch die Schnellbahn nur stündlich: „Rechts, dann gleich links die unbefestigte Straße entlang, vorbei am Friedhof und dann immer geradeaus.“

Wir gehen es zuerst wohl zu gemächlich an, und so versäumen wir unseren Zug knapp. Wir haben nun eine Stunde Zeit und machen es uns am Bahnsteig auf einer Bank gemütlich. Hier ist nicht viel los. Die eingleisigen Schienen verlaufen schnurgerade und enden an beiden Seiten am Horizont. Zwei Züge Richtung Laa halten in dieser Stunde, ein paar Leute steigen aus und verschwinden rasch mit ihren Autos, die am Parkplatz  bereit stehen.
Clasien und ich unterhalten uns über das Klima, die Veränderungen und begreifen nicht, dass so wenig passiert. Staus auf den Autobahnen, Flüge billig wie vor der Krise, Windräder sollen die Landschaft neben den Seilbahnen nicht verschandeln, politische Maßnahmen werden auf die lange Bank geschoben. Für den Krieg finden wir fast keine Worte, so unverstellbar ist es, dass die Zerstörungen so nahe bei uns passieren können.

Ich erzähle von erstaunlichen Forschungsergebnissen, von denen ich kürzlich gehört habe: Es gibt mehr Sterne im All, als „Sandkörner“ auf unserer Erde. Die Vorstellung ist schwierig, aber es besteht die Hoffnung, dass es irgendwo da draußen Lebewesen gibt, die es besser machen als wir.

Die Wartezeit vergeht rasch, und bald können wir in unseren Zug einsteigen und wieder nach Hause fahren. Der nächste Ausflug zum Riesenrad wird uns in eine belebtere Gegend führen.