Ein gemeinsamer Spaziergang – mit Abstand
Wir treffen uns vor meiner Haustür. Der geplante Weg führt uns über den Mühlratz zur Waldandacht, zum Soldatenfriedhof, zur Steinpyramide, durch die Passleiten, die Viehtrift und zurück zum Hauptplatz Schleinbach.
Wir haben uns lange nicht gesehen und zuerst achten wir weniger auf den Weg, wir tauschen aus, wie es unseren Kindern, Geschwistern, Neffen, Nichten und Enkeln geht. Alle sitzen sie an ihren Wohnorten fest, wir wissen nicht, wann wir sie wieder treffen werden. Aber sie sind wohlauf und wir rechnen fest damit, dass im Sommer Besuche wieder möglich sein werden. Wir freuen uns darauf.
Der Pfarrhof liegt verwaist da, die Bücherei ist bis auf weiteres geschlossen. Auch die Kirche ist zu, auf der Straße treffen wir keine Leute, was aber hier nicht ungewöhnlich ist, Fußgänger sind im Ort immer wenige unterwegs. Beim Ortsschild biegen wir links in einen Feldweg ab. Beide waren wir in den letzten Wochen sehr viel gehend unterwegs und haben die Veränderung der Natur in den letzten Tagen miterlebt. Waren die Farben gerade noch überwiegend in allen möglichen Abstufungen braun, ist jetzt plötzlich alles frisch und grün. Besonders deutlich zeigt sich die Veränderung im Wald, in den wir einbiegen. Hellgrün leuchten die Blätter und der Boden ist von Maiglöckchen, die schon zarte Knospen zeigen, übersät. Es duftet. Wir reden über die Maßnahmen, die unseren Bewegungsradius so drastisch eingeschränkt haben, wie wir es uns noch Anfang des Jahres nicht in den abwegigsten Träumen hätten vorstellen können. Kulturelle Veranstaltungen gehen uns ab und wir freuen uns auf Theaterstücke, Konzerte, Lesungen, Ausstellungen - vorsichtig wollen wir es jedenfalls angehen. Das Sommerkino in Obersdorf werden wir vermissen. Die Formel-1-Rennen sollen im Juli in Österreich stattfinden - das verstehen wir nicht.
Bei uns hat es in der ersten Märzhälfte das letzte Mal richtig geregnet, die Wege sind trocken und staubig. Im Wald sehen wir einen Mann und eine Frau Brennholz für den Winter schneiden und auf einen Traktoranhänger verladen.
Unser erstes Ziel ist die Waldandacht. Es ist dies eine liebevoll gepflegte Waldlichtung mit einer Marienfigur. Der Platz ist ruhig und lädt zu einer kurzen Rast auf Holzbänken ein. Der Pfarrer von Ulrichskirchen, Monsignore Burgmann hat diesen Platz 1973 geschaffen und jedes Jahr zu Mariä Himmelfahrt wird hier eine Andacht abgehalten. Es ist ein guter Platz. Die Marienstatue hat sicher keinen hohen künstlerischen Wert, Plastikblumen schmücken die Gedenkstätte. Clasien fotografiert.
Ein paar Schritte weiter liegt rechts der Soldatenfriedhof. „Hier ruhen die in der denkwürdigen Schlacht bei Deutsch Wagram am 6.7.1809 verwundeten und an ihren Wunden in Ulrichskirchen verstorbenen Krieger beider Heere. Schwer ist es zu sterben, auf fremden Boden unbeweint.“, steht auf einer Tafel, die an einem Holzkreuz angebracht ist. Der Platz ist von Bäumen begrenzt, hinter dem Kreuz ist jedoch der Himmel frei und man kann in die Landschaft schauen. Vor einigen verwitterten Grabsteinen sind Blumen gesetzt.
An der nächsten Wegkreuzung ist eine Steinpyramide. Auch die hat Pfarrer Burgmann initiiert. Er hat Wanderer, die die Waldandacht besuchen, aufgefordert, einen Gedenkstein hier an dieser Kreuzung niederzulegen.
Wir biegen rechts ein, auf einer leichten Anhöhe sehen wir einen großen, alten Kirschenbaum, unter dem ein Tisch und eine Bank zur Rast einladen. Von dort hat man einen wunderbaren Blick auf Ulrichskirchen, Wolkersdorf und unzählige Windräder. Bei hundert höre ich zu zählen auf. Wir erinnern uns an die Errichtung des ersten Windrades. Es bekam einen Namen: Dradiwaberl. Ich habe zwei Äpfel mit und beide packen wir unsere Wasserflaschen aus. Ein Hund mit einem Radfahrer keucht vorbei. Clasien gibt dem Hund einen Schluck von ihrem Wasser. Wir genießen die Aussicht.
Die Passleiten ist ein besonders beeindruckender Hohlweg. Mir fallen Gedichte von Theodor Kramer ein. Keiner kann wie er diese Wege, die sich tief in die Erde hineingeschnitten haben, beschreiben.
In der Kellergasse Passleiten werden die Keller für die Sommersaison vorbereitet und es schallt uns laute Musik entgegen: Udo Jürgens, Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an… Es muss gemütlich sein, hier vor dem Keller zu sitzen, ein Glas Wein vor sich, über das Leben nachdenken und mit dem Kellernachbarn philosophieren.
Am Ende der Kellergasse stoßen wir auf die Bahngleise und in einer Linkskurve geht es in die nächste Kellergasse, die Viehtrift. Hier sind die Keller größer, der Heurige Konrad hat leider noch nicht geöffnet. Nur für Hunde steht eine Wasserschüssel bereit. Ich studiere die Speisekarte, freue mich auf die Aufstrichbrote und auf Ende Mai, wenn wir hier wieder einkehren können. Clasien macht mich auf ein skurriles Bild aufmerksam: hinter den Kellern steht eine unregelmäßige Reihe von Rohren. Es sind das die Lüftungsrohre der unterirdischen Gewölbe in verschiedensten Ausformungen und Größen.
Den letzten Anstieg nach Schleinbach bewältigen wir schweigend. Oben angekommen, genießen wir noch einmal die Aussicht auf Schleinbach und den Wasserturm von Unterolberndorf. Die untergehende Sonne taucht das Land in leuchtende grüne, gelbe und braune Farben. Der Himmel hat rote Streifen.
In der Kramergasse wird eifrig in den Gärten gearbeitet. Wir grüßen, reden ein paar Worte. Es scheint, als ob jeder froh ist, auch wieder einmal andere Leute zu sehen und sich austauschen zu können. Beim ehemaligen Kaufhaus „ums Eck“ verabschieden wir uns.
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