Martha, wo bist’n du immer?

Im Juli war Clasien bei einer Ausstellung im Pfarrhofgarten in Niedersulz. Martha Plößnig stellte dort ihre Keramiken aus, und Clasien war begeistert. Sie erzählte von Skulpturen mit langen Beinen – Martha nennt sie „Trost“ –, von Nistkästen, Dorftrollen und Nestern.

Im November besuchen wir Martha. Wir kommen um 17 Uhr bei ihr an, es ist schon dunkel. Sie erwartet uns und wir betreten ihre Wohnküche. Ich setze mich zum warmen Kachelofen, und dann wird Wein aus dem familieneigenen Betrieb, selbstgebackenes Brot und Karfiol aus dem Backofen auf den Tisch gestellt.

Martha ist Seelsorgerin im Landesklinikum Mistelbach. Sie erzählt von ihrer Arbeit. Sie begleitet schwerkranke Menschen in ihren letzten Tagen. Trotz der Schwere ihres Berufs, sagt sie, dass diese Begegnungen oft auch wie ein Geschenk sind. Die Arbeit in der Intensivstation beschreibt sie als besonders berührend, die Kommunikation verläuft dort anders, aber doch gelingt es, nonverbale Verbindungen herzustellen, die Atmosphäre im Raum wird intensiv.

Sie bedauert, dass die Berufsbezeichnung Seelsorgerin nicht etwas ganz Selbstverständliches ist. Lehrerin, Verkäuferin, Ärztin – das sind Berufbezeichnungen mit denen jeder etwas anfangen kann. Seele ist so oft nicht greifbar.

Ich erinnere mich an die letzten Tage meiner Mutter im Krankenhaus. Einige Male saß eine Seelsorgerin an ihrem Bett, wenn ich sie besuchen kam. Meine Mutter war nicht gläubig, aber diese Gespräche haben ihr offensichtlich gut getan. Sie wirkte dann so dankbar und ruhig. Auf meine Frage, über was sie denn so rede, antwortete sie: Ach nichts Besonderes, einfach so, Begebenheiten aus meinem Leben, die gar nicht so wichtig waren, aber jetzt fallen sie mir wieder ein.

Martha arbeitet vier Tage im Krankenhaus, an den restlichen drei Tagen versucht sie so viel Zeit wie möglich im Atelier zu verbringen. Ihre anderen Aktivitäten im Dorf hat sie eingeschränkt. Sie singt nicht mehr im Chor, schenkt nicht mehr so oft aus, muss nicht mehr bei jeder Veranstaltung dabei sein. Das hat ihr schon oft die verwunderte Frage eingebracht: Martha, wo bist’n du immer?

Wir gehen durch den inzwischen schon sehr finsteren Garten ins Atelier. Martha leuchtet uns den Weg mit einer Kerze. Das Atelier ist nicht sehr groß – ich schätze sechs mal sechs Meter – ich kann das gar nicht so richtig beschreiben, ich fühle mich in dem Raum sofort sehr wohl. In der Mitte ist ein Arbeitstisch und rundherum an den Regalen stehen halbfertige Objekte, Dinge die restauriert werden, Scherben, die wieder zusammengeklebt werden wollen. Dazwischen hängen Fotos ihrer alten Heimat Kärnten. In der Ecke steht ein alter Tischherd, daneben Spardosen, jedes mit einem Wort versehen. In Marthas Arbeiten wird ihre enge Verbindung zum Wort immer wieder sichtbar: zart – wild – gesang… steht da.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sie hier mit ihren Objekten spricht während sie entstehen.

In einer alten, aufgelassenen Schmiede hat Martha noch einige ihrer Keramiken gelagert. Wir spazieren durch den menschenleeren Ort. Überall im Weinviertel ist es so leer. Niemand ist auf der Straße.

Die alte Schmiede ist ein sehr stimmungsvoller Ort. Dort lagern Geräte aus der Weinwirtschaft, aber auch Marthas größere Objekte. Ich kann jetzt einen langbeinigen „Trost“ bewundern, „Dorftrolle“ stehen herum und an den Wänden hängen Nistkästen. „Du bist hier lange nicht gewesen“ ist auf ihnen eingeschrieben.

Vielleicht sollte ich hier in der Schmiede auch einmal eine Ausstellung machen, sagt Martha.