Wir schauen genau hin
Wir gehen und schauen genau hin. Das ist das Motto dieses Spaziergangs, der uns von der Schleinbacher Bahnstraße bis zur „Judenstiege“ in Ulrichskirchen führt. Wir schauen unterschiedlich, die Fotografin und ich.
Das Wegkreuz in der Bahnstraße wurde 1908 errichtet und 2015 renoviert. Clasien macht mich auf die danebenliegende Haltestelle aufmerksam und den leeren, weißen Zettel, der dort hängt, wo die Abfahrts- und Ankunftszeiten angezeigt sein sollten.
Auf dem Gehsteig stehen viele EVN-Kästen herum. Sie sind grau, aus Blech und fallen normalerweise nicht auf. Auf einem liegt ein einzelner Handschuh. Der liegt schon lange da, meint Clasien.
In der Kramergasse bleibe ich erstaunt vor einer halbverwachsenen Stiege stehen. Wie oft bin ich hier schon vorbeigegangen, noch nie ist mir diese verwilderte Schönheit aufgefallen. Die Stufen führen zu einem mit Efeu überwachsenen Garten, das Haus ist verlassen. 2007 haben die „Heiligen drei Könige“ noch ihre Inschrift an die Tür gemalt. An einem Baum lehnt eine rostige Scheibtruhe.
Die Erdkeller in der Kramergasse sind teilweise schon sehr baufällig. An einem fällt mir eine Tür aus Schmiedeeisen auf. Erstaunlich welche Kunstwerke man an alten Wirtschaftsgebäuden finden kann. Die Stromleitungen sind hier nicht unter der Erde. Ein Spinnennetz von Kabeln verzweigt sich zwischen den Häusern und Strommasten. Auf einem Mast befindet sich eine gelb-weiß-gelbe Wandermarkierung und mit blauer Farbe sind Nummern vermerkt. Grafisch ist das nicht uninteressant, meint die Fotografin.
In unserer Gemeinde sind fast alle Hydranten von Kindern bemalt. Einer davon befindet sich hier.
Unsere erste wichtige Station ist das Marterl an der Kreuzung zur Sandgrube auf dem Weg nach Ulrichskirchen. Das Marterl steht im Verbund mit zwei Bäumen, einer Bank, die gleichzeitig Wegweiser nach Ulrichskirchen und Schleinbach ist und einem grünen Plastikkübel, der das Zentrum dieser Installation ist.
Auch die Natur veranlasst uns immer wieder stehenzubleiben. Wir bestaunen einen abgestorbenen Baumstamm. Er hat kaum noch Rinde, ein Vogelhäuschen befindet sich auf halber Höhe und aus seiner linken Seite wächst ein Baumschwamm, der wie ein Hut aussieht. Dieser Stamm bietet sehr vielen Insekten und Käfern Wohnung.
In der Kellergasse in der Viehtrift kommt man mit dem Schauen zu keinem Ende: Kellertüren, Inschriften, angestückelte Blechhütten, Zaunreste, die mitten in der Landschaft stehen, Sitzecken, Blumen. Beim Heurigen Didi Konrad würden wir gerne einkehren und ein Glas Wein trinken und ein belegtes Brot essen. Darauf müssen wir aber leider noch ein paar Wochen warten.
Die Bahnunterführung ist grafisch wieder hochinteressant. In der Betonwand ergeben Löcher und Schrauben Muster.
Von der Viehtrift biegen wir mit einer kleinen Kurve in den Schlosserberg ein. Unterwegs bewundern wir einen Holzstamm, in den ein Gesicht geschnitzt ist und sehen einen alten Schaufensterkasten, und dann landen wir bei den Mistcontainern. Auf dem Humana-Container klebt ein Schild: Diebstahl wird polizeilich verfolgt.
Unser Spaziergang führt uns über den Kreisverkehr. Bevor dieser Platz nicht nur Verkehrsknotenpunkt war, gab es hier eine Gemischtwarenhandlung, einen Fleischhauer, ein Gasthaus mit einem sehr schönen Veranstaltungssaal und eine Bäckerei. Der Arzt, die Kirche, die Schule, das Gemeindeamt waren in der Nähe. Die Bushaltestelle ist noch da.
Unser letztes Ziel ist die „Judenstiege“. Staunend stehen wir vor einer Marienstatue, die einen Rosenkranz in Händen hält. Rechts davon befinden sich eine Stromleitung und eine Dachrinne. Links ist eine Gedenktafel angebracht. Sie erinnert an jüdische Mitbürger, die 1939 und 1942 verstorben sind. Auf einem Foto sehen wir den Grabstein der Familie Edelhofer im Friedhof in Floridsdorf. Was nicht aus dieser Gedenktafel hervorgeht ist, dass Sohn Adolf mit 20 Jahren nach Nisko deportiert wurde und sein weiteres Schicksal unbekannt ist. Die Eltern, Ernestine und Wilhelm, wurden am 26.5.1942 in der Vernichtungsstätte Maly Trostinec ermordet.
Hier verabschieden wir uns. Clasien kündigt an, dass sie den Weg am nächsten Tag noch einmal gehen wird. Es gibt noch so Vieles zu fotografieren. Ich habe keine Zeit.
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